Testberichte Allrad-LKW

Der neue Hollywood-Star

VW Crafter im Test

Andalusien im Herbst. Hollywood-Kulisse für den neuen VW Crafter.
06.12.2016


Almeria, Andalusien. In der steinigen Halbwüste am Fuße der Sierra Alhamilla drehte David Lean einst den "Lawrence von Arabien", Sergio Leone "Für eine Handvoll Dollar mehr". Der Niedergang des einstigen "Hollywood Europas" wurde offenkundig, als hier schließlich der "Schuh des Manitu" produzierte wurde. Auf Peter O'Toole in Beduinenkleidung und Clint Eastwood mit der Zigarre zwischen seinen gebleckten Zähnen folgte: Bully Herbig. Dann war endgültig Schluss mit Hollywood.

Heute erstrecken sich in diesem kargen Land plastikgedeckte Gewächshäuser in Quadratkilometergröße. Von hier bezieht die EU Ihr Obst und Gemüse, wenn im Winter in den nördlicheren Gefilden der Union kaum noch etwas wächst. Eben diese EU hat die Landschaft hier auch mit frischen Asphaltbändern zerschnitten, damit die Frischware via LKW möglichst rasch zum Konsumenten gelangen kann.

Auf diesen Asphaltbändern - und ein wenig abseits davon - haben wir den brandneuen VW Crafter getestet. Jenes "leichte Nutzfahrzeug", mit dem VW seine Autonomie vom einstigen Produktionspartner mit dem Stern am Grill feierte.

Diese neue Freiheit zelebrierte VW mit viel Empathie. So durften die Designer nach Lust und Laune an der Karosserie feilen. Ergebnis ist der optisch wohl stimmigste Transporter seiner Zeit, ganz ohne Sicken und Linienbrüchen, mit dem Gesicht der Volkswagen-Familie.

Dazu wurde in Rekordzeit ein topmodernes, gigantisches Produktionswerk in Polen auf das Feld gezaubert. 100.000 Fahrzeuge sollen hier im Vollbetrieb pro Jahr produziert werden.

Der Innenraum. VW hat vor dem Start der Entwicklung seine Kunden gefragt, welche Ansprüche sie an ein modernes Nutzfahrzeug haben. Dann haben sich die Ingenieure an einen Tisch gesetzt und erörtert, was der Fahrer während seines Arbeitstages so alles bei sich hat: Die DIN-A4-Ordner mit den Frachtpapieren, der Paket-Scanner, das Handy, der Zollstock, die Verpflegung - alles sollte im Cockpit seinen vorreservierten Platz erhalten. Und das Ergebnis ist erstaunlich: Ein Nutzfahrzeug mit derart vielen, durchdachten Ablageplätzen haben wir vorher noch nie gesehen. Dazu bietet VW je nach Einsatzzweck und Komfortanspruch wahlweise robuste und/oder hochergonomische Sitze.

Für jeden Nutzer den passenden Crafter: Nicht nur, was das Cockpit-Design betrifft, sondern, für die Fuhrparkbetreiber noch viel wichtiger: Insgesamt 69 Varianten des Crafter bietet Volkswagen an. So gibt es ihn als Kastenwagen, Pritsche, Fahrgestell und Kombi. Mit zwei Radständen. Zwei verschieden langen Überhängen hinten. In drei Fahrzeughöhen - von 2,3 bis 2,8 Metern. Mit drei Fahrzeuglängen von 5,9 bis 7,4 Metern. Als Einzel- oder Doppelkabiner. Mit drei Pritschenlängen. Je nach Einsatzzweck gibt es Front-, Heck- oder (ab Mitte nächsten Jahres) 4MOTION-Allradantrieb.

In Almeria sind wir den mittels sechs Gängen manuell schaltbaren Crafter in der Topmotorisierung mit 177 PS gefahren. Erstaunlich, wie behände dieses große Fahrzeug vom mehr als kräftigen Vierzylinder-Diesel bewegt werden kann. Theoretisch ist erst bei 165 km/h Schluss. Auf den steilen Straßen der andalusischen Sierra hat der Motor vor allem mit seiner Durchzugsstärke beeindruckt. Alternativ - für viele Nutzer wohl die bessere Wahl - gibt es den gleichen Diesel auch mit 102 oder 140 PS. Neben dem serienmäßigen Sechsgang-Schaltgetriebe steht - je nach Modell - auch ein tadelloses Automatikgetriebe zur Wahl.

Und dann wären da auch noch die ernsthaft faszinierenden - aber natürlich nur gegen Aufpreis erhältlichen - Fahrassistenz-Systeme zu erwähnen. Zuallererst der "Trailer Assist" - bei dem der Verstellknopf für die Außenspiegel zum Joystick mutiert, um den mitgeführten Anhänger punktgenau im Rückwärtsgang einzuparken. Sensationell.

Und der radarbasierende Ausparkassistent: Mit einem großen Kastenwagen an einer viel befahrenen Straße im Rückwärtsgang aus einem Schrägparkplatz rauszufahren, wird oft zum Spießrutenlauf. Nicht so beim neuen Crafter - der Radar und Kameras anwendet, damit man sicher aus der Parklücke kommt. Und im Notfall sogar eine derart schnelle Notbremsung einleitet, die es auch dem auf der Straße daherkommenden Fahrzeug ermöglicht, zeitgerecht anzuhalten oder zumindest auszuweichen. Da ist es fast logisch, dass der Crafter auch selbsttätig einparken kann. Ein Parkplatz, der vorne und hinten je 50 Zentimeter länger ist als das Fahrzeug selbst, wird spielend genutzt. Haben bei der Rückkehr zum Auto wenig freundliche Verkehrsteilnehmer den Crafter noch enger eingezwickt, reichen dem Assistenten zum Ausparken sogar jeweils 25 Zentimeter vorne und hinten, um ihn (semi-)automatisch und berührungsfrei aus dem Parkplatz zu bringen.

Doch all die Assistenten waren während unserer Testfahrt in Andalusiens nur bedingt Thema. Wir ließen die Turbodiesel der Kasten- und Pritschenvariante tief atmen und beritten forsch die frisch asphaltierten Wege durch Ex-Hollywood - siehe Bilder. Pfeif' auf Peter O'Tooles Kamel. Und auf Clints Pferd. Wir haben einen Crafter.

Ach ja: Der Vorverkauf des neuen Crafter in Österreich wurde bereits gestartet, die Markteinführung erfolgt voraussichtlich im März 2017.


Fotos und Text: GELAENDEWAGEN.AT


Werbung