Testberichte

Land Rover Defender 110 Heritage

Ein leises "Servus" zum Abschied...

Land Rover hat uns den Abschied vom Defender noch ein bisschen schwerer gemacht - und uns den wunderbaren 110 Heritage geborgt.
17.07.2016
Defender zu fahren ist immer ein bisschen wie nach Hause zu kommen. Auch, wenn uns die Ikone zu den entlegensten Plätzchen dieses Planeten gebracht hat. Da findet man seinen Stammsessel, schnell hat man seine Sitzposition gefunden, ein wenig schief wie immer in den letzten 30 Jahren. Das Körpergewicht liegt zu 80 Prozent auf der rechten Hemisphäre des Verlängerten. Den rechten Ellbogen auf die große Mittelkonsole gebettet, den linken Arm oben aufs Lenkrad gelegt. Wohlfühlen trotz Krampfgefahr.

Und doch ist das Nach-Hause-Kommen dieses Mal anders. Es wird wohl unser letzter Test dieses Defender-Modells. Wenn wir das nächste Mal ein Fahrzeug mit diesem Namen testen - 2017, vielleicht 2018 - wird dieses wohl kaum mehr etwas mit dem Altbekannten zu tun haben.

Als wollte uns Jaguar Land Rover den Abschied noch schwerer machen, haben wir zum Schluss den wohl schönsten Defender aller Zeiten zum Testen bekommen. Ein Fahrzeug voller Reminiszenz und Anleihen an seine große Vergangenheit. Das "Grasmere Green" des Sondermodells "Heritage" erinnert an das klassische "Light Pastel Green" der frühen Serie-Modelle. Selbst die Heavy-Duty-Felgen sind in diesem Grünton lackiert und schön, auch wenn wir uns hier das traditionelle Hellelfenbein noch schöner vorstellen hätten können.

Ein Badge an der Flanke trägt das Kennzeichen des ersten je in Serie gebauten Land Rovers "HUE166". Front und Heck zieren die ovalen Land Rover Logos aus den Vierzigern bis Siebzigern, ebenso die Spritzlappen hinter den Rädern.

Im Innenraum setzen sich die Reminiszenzen fort, die in sandfarbenem Stoff bezogenen Sitze tragen ebenfalls Logos, eingestickt in die Rückenlehnen. An den Sitzflanken finden sich wiederum HUE166-Marken. Das zentrale Armaturenbrett ist in Wagenfarbe lackiert und wirkt authentisch, das eingebaute "Alpine"-Radio da hingegen fast anachronistisch, obwohl auch nicht mehr ganz modern. Die Türgriffe aus mattem Alu sind wie die Sitze mit sandfarbenem Stoff bezogen. Farblich unpassend, dem Insider zaubert das dennoch ein Lächeln ins Gesicht: Der Hebel für das Schaltgetriebe trägt einen gelben, der für die Untersetzung einen roten Ring: Bei den alten Serie-Modelle hatte der Hebel für die Zuschaltung der Vorderachse ein gelben, der für die Untersetzung einen - erraten - roten Knauf.

Sonst - die bekannten Schrullen des Land Rover Defenders wie schon vor fast dreißig Jahren. Die Komplexität des permanenten Allradantriebs und von Schalt- und Verteilergetriebe machen das Anfahren schwer, unvorsichtigere Gangwechsel werden vom berüchtigten "Klonk" aus dem Antriebsstrang untermalt. Seit der Einführung des 2,2er-Diesels ist das einzigartig-charakteristische Motorengeräusch, das seit den Achzigern und ab dem unkaputtbaren 200Tdi den Gesamteindruck des Defender mitgeprägt hat, passé. Der neue Diesel schnurrt wie ein Nähmaschinchen, liefert aber immerhin identische Leistungsdaten wie seine Vorgänger. Die 122 PS sind ausreichend, das Drehmoment durchaus stattlich.

Das Platzangebot für den Fahrer war und ist katastrophal, für den Beifahrer und die Hinterbänkler aber durchaus respektabel. Der Laderaum ist im 110er genial groß und dank seiner Geradlinigkeit auch perfekt nutzbar.

Spannend sind wie jeher Fahrten im Regen. Wenn die fetten MT-Reifen das Straßenwasser wie Turbinen gegen die unverkleideten Radkästen schleudern, hört es sich an, als ginge direkt im Innenraum ein Platzregen nieder. Dazu tropft es - wie schon bei unserem Redaktions-Defender aus den frühen Neunzigerjahren - kontinuierlich zwischen A-Säule und Oberkante der Fahrertür in den Innenraum.

Zusammengefasst: Es ist ganz einfach fantastisch, Defender zu fahren. Sollten Sie das angesichts unserer Beschreibungen oben bezweifeln, probieren Sie es einfach selbst 'mal aus. Achtung, Suchtgefahr.

Das Ende des Defenders haben im Wesentlichen die verschärften EU-Bestimmungen für die Zulassung von Neufahrzeugen besiegelt: Der Defender hatte nie Airbags, die Entwicklungskosten wären angesichts weltweit zuletzt nur mehr 25.000 verkaufter Fahrzeuge pro Jahr zu hoch gewesen. Auch entspricht die kantige Karosserie nicht mehr den Bestimmungen betreffend Fußgängerschutz. Und dazu kam die EURO-6-Abgasnorm, die für den Defender nicht mehr erfüllbar war.

Jetzt wartet die weltweit riesige Fan-Gemeinde auf den Nachfolger. Doch Jaguar Land Rover hält sich bedeckt. Die Studie "DC100", die schon vor mehreren Jahren präsentiert wurde, wurde von den Fans durch Sonn' und Mond geschossen. Da wird sich Land Rover etwas Besseres einfallen lassen müssen. Wenn der Neue wirklich erst 2017, eher sogar 2018 kommt, bleibt den Offroadern unter den Land Rover Fans bis dahin nur der bald zu erwartende Discovery 5.

Inzwischen klettern die Preise für gebrauchte Defender ins Unermessliche. Wenn Sie noch einen Neuen ergattern wollen, sollten Sie schnell sein. Ein paar stehen noch bei den Händlern. Und auch das von uns getestete Reminiszenz-Modell "Heritage" ist in Einzelexemplaren noch zu haben.

Unser 110 Station Wagon steht übrigens mit recht stolzen 57.666 Euro in den Verkaufslisten. Doch er ist jeden Euro-Cent wert, glauben Sie uns.

Fotos + Text: GELAENDEWAGEN.AT


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